Inhalt aus dem Archiv der Mitteldeutschen Zeitung
Nostalgie unter Volldampf
07.12.2014 19:41 Uhr
VON H.-DIETER KUNZE
Fünf Dampflokführer und sechs Heizer, drei Zugbegleiter und sieben Mitarbeiter im Mitropa-Service sorgten am Sonntag dafür, dass die Sonderfahrt ein voller Erfolg wurde. Die letzte Fahrt in diesem Jahr führte in den Harz.
JESSEN/WITTENBERG. Dampf, Zischen, weißer Nebel, der aus den Heizungsschläuchen quoll und trotzdem die Waggons mächtig aufheizte, der Bahnsteig voll mit erwartungsfrohen Menschen. Wann bietet sich heute schon noch die Gelegenheit, mit einem Dampflok-Sonderzug zurück in die Vergangenheit zu reisen.
Majestätisch rollte er ein, gezogen von einer 18 201, der schnellsten und einer der größten noch betriebsfähigen Dampflokomotiven der Welt, gebaut 1962. Mit nur einer Umdrehung der sechs 2,30 Meter im Durchmesser großen Antriebsräder spult sie 7,5 Meter Schienenstrang ab. Das stählerne, fauchende Ungetüm bringt es unter Volllast auf 180 Stundenkilometer. Zwölf angehängte Schnellzugwagen der ehemaligen Deutschen Reichsbahn (DR) der DDR plus Lok, das war zu lang für den Bahnsteig in Wittenberg. Die Passagiere der letzten Waggons erreichten ihre Platzkartensitze nur über die Gänge im Zuginneren.
Dann auf die Sekunde genau um acht Uhr am Samstag, gab der Zugführer mit einer Trillerpfeife das Abfahrtsignal. Die 18 201 spuckte Dampf und Rauch, sehr schnell kam sie in Fahrt. Ungewohnt für die Elbebrücke. Äußerst selten wird sie von solchen Schwaden eingehüllt. In Bitterfeld war der erste Halt, nochmals stiegen Fahrgäste zu. Mit Volldampf ging es zügig durch bis Chemnitz-Hauptbahnhof. Hier hatte der Veranstalter einen mehrstündigen Besuch des Weihnachtsmarktes eingeplant. Zum Bahnhof zurück kehrten viele Fahrgäste mit großen Tüten, gefüllt mit erzgebirgischen Volkskunstartikeln, wie Räuchermännchen, Pyramiden und Schwibbbögen.
Der Sonderzug stand erneut unter Dampf, jetzt aber gezogen von der 52 8079-7. Gebaut wurde sie 1943 und war eigentlich als Güterzuglokomotive konzipiert. Robust, spartanisch ausgestattet und hauptsächlich für Fahrten im Zweiten Weltkrieg an die Ost- und Westfront vorgesehen. Die Modelle erhielten deshalb den makaberen Beinamen Kriegs-Lok. Einige überstanden diesen, nach Kriegsende waren sie auf dem durch Reparationen stark ausgedünnten Streckennetz der DR unentbehrlich.
Nichtsdestotrotz, die alte Dame schnauft noch heute. So auch an diesem Tag durchs Erzgebirge. Denn sie ist im Gegensatz zur 18 201 gebirgstauglich - sprich, geeignet für relativ enge Gleiskurven und größere als die sonst auf dem Streckennetz üblichen Steigungen. Trotzdem wurde sie an einigen Stellen „kurzatmig“. Kein Problem, ans Zugende war 118 770-7 angekoppelt worden, eine Diesellokomotive, Ende der 1960er Jahre gebaut im VEB Lokomotivbau Babelsberg. Sie schob den überlangen Personenzug kräftig mit, wenn es brenzlig wurde.
Zehn Tonnen energiereiche Schlesische Steinkohle waren im Wannentender der 52 8079-7 gebunkert. Reichlich auch der zweite Energielieferant Wasser, aber er wurde dennoch knapp. Deshalb war ein planmäßiger Halt in Schlettau/Erzgebirge eingeplant worden. In früheren Jahren hatte jeder Bahnhof mindestens einen schwenkbaren Wasserkran zum Nachtanken. Vorbei, deshalb hatten Schlettauer Feuerwehrkameraden einen Sondereinsatz. Sie füllten mit Schläuchen acht Kubikmeter Wasser auf.
Der Halt, wenn auch nur kurz, glich einem kleinen Volksfest. Verständlich, denn angerostete Schienen und Weichen auf dem Bahnhof waren Beweis dafür, dass hier Züge mittlerweile sehr selten fahren. Früher gab es bis zu 60 Zugpassagen. Feuerkörbe waren entzündet worden, Heißgetränke und Deftiges vom Grill wurden verkauft. Der Zugführer musste mehrmals die Trillerpfeife benutzen und das Lokpersonal auf dem Führerstand gab nervös und lautstark mit der Dampfpfeife Signal, bis auch die letzten Sonderzug-Passagiere, noch immer mampfend und Glühwein schlürfend, endlich wieder eingestiegen waren.
Dabei gab es an Bord reichlich Verpflegung. Zwei original erhaltene Mitropa-Restaurantwagen befanden sich in der Zugreihe. Das Küchen- und Kellnerpersonal hatte unermüdlich zu tun. Die Rückfahrt nach Wittenberg und Bitterfeld nahm einen anderen Verlauf. Über Riesa und Falkenberg ging es in die Lutherstadt, Endstation war Bitterfeld. Einen zusätzlichen Halt gab es in Jessen. Hier stiegen mehr als 60 Fahrgäste aus, die ihr Auto nicht am Wittenberger Hauptbahnhof geparkt hatten.
Stark vertreten im Zug war die Fraktion der IFA-Freunde Jessen. Sie hatten gleich komplett die Abteile im kombinierten Postwagen für sich, Angehörige und Freunde reserviert. „So etwas Tolles und Originelles kriegt man nur sehr selten geboten“, sagte Vereinsvorsitzender Mario Brettschneider.
Organisator und Veranstalter der Nostalgie-Fahrt war Andreas Knaack aus Chemnitz. Über ein Büro koordiniert er mehrmals im Jahr solche Eisenbahnreisen. Mit der Auslastung diesmal war er sehr zufrieden: „Etwa 350 Reisende, das ist schon was.“ Die Vorbereitung solcher Fahrten ist kompliziert, aufwändig und teuer. Muss doch der Sonderzug immer wieder zwischen reguläre ICE, IC, Regional- und Güterzüge, die natürlich Vorrang haben, ins Streckennetz „eingefädelt“ werden. Wartezeiten sind deshalb unvermeidbar, hielten sich aber sehr in Grenzen. (mz)